CASA Schützenplatz

 

Wie privatisiert ist unser öffentlicher Raum?

Bei der hohen Nachfrage nach Wohnraum und dem Kampf um jeden m2 Wohnfläche in den Städten ist es sozial unverantwortlich, an eine Wohnung mit allen Annehmlichkeiten für die private Nutzung zu denken, über die ein Einfamilienhaus früher verfügte. Balkon/Terrasse? Wohnzimmer? Spielzimmer? Essküche? Badezimmer mit Badewanne?

Der private Lebensraum wird entweder aufgrund des Immobilien-Drucks oder der Verdichtung der Städte ein Umdenken in der effektiveren Nutzung erfordern, und hier erhält der öffentliche Raum eine neue Dimension. Warum ist der öffentliche Raum nur ein Transitraum, wenn er viele Eigenschaften eines Begegnungsraums hat? Er ist eine neutrale Fläche, er hat eine grüne und blaue Infrastruktur, er ist ein Ort der Identifikation.

Kann der öffentliche Raum in Städten einen Ersatz für soziale Aktivitäten bieten, die früher in privaten Räumen stattfanden? Zum Beispiel, indem wir unsere Freund*innen dorthin einladen, den Abend mit uns zu verbringen. Wo wir Jubiläen oder Geburtstage feiern. Kann die Straße vor unserer Wohnung eine Erweiterung unseres Hauses werden?

Im Jahr 2016 entsteht CASA Schützenplatz, um 1) zu fragen, welches Potenzial dieser Raum hat, eine Erweiterung unserer privat-sozialen Nutzung zu werden und 2) zu hinterfragen, wie dieser Raum, den wir „öffentlich“ nennen, derzeit verteilt ist. Kann unser öffentlicher Raum ein Gemeingut sein, das unsere sozialen Bedürfnisse ergänzt und im Gegenzug die effektive Nutzung der m2 privat genutzten Wohnungen unterstützt?

Im Juni 2016 baute eine Gruppe von Architekt*innen (damals noch Studierenden) ein Parklet in Form eines Hauses, um das Potenzial des öffentlichen Raums, eine Erweiterung unseres privaten Bereichs zu werden, zu symbolisieren: Ein Haus auf der Straße. Nach drei Monaten Projektlaufzeit und guter Annahme durch die Nachbar*innen begann ein Übergangsprozess vom Universitätsprojekt zur Nachbarschaftsinitiative.

Dieser Übergangsprozess war mit einer von der Stadt vorgeschlagenen Neugestaltung des Schützenplatzes verbunden: Ein Platz von ca. 1300 m2, der trotz seiner privilegierten Lage – 800 m vom Hauptbahnhof entfernt, mit Bus- und U-Bahnverbindungen in Gehweite und Bike- und Carsharing-Angeboten – nur als Parkplatz diente, sollte… ein Kreisverkehr werden.

Das Universitäts-Projekt öffnet die Möglichkeit zu Gesprächen mit der Stadt um die geplante Neugestaltung zu hinterfragen und gesammelte Ergebnisse des Projekts aufzugreifen. Die Architekt*innen-Nachbarschaftsorganisation CASA Schützenplatz e.V. wird gegründet um an diesem Prozess teilzuhaben und nimmt sich klare Ziele vor:1) Schritt für Schritt mit der Wiedergewinnung eines Raums für alle Nachbar*innen zu beginnen und 2) die Verbesserung des Verwaltungs-Projekts vor seiner Umsetzung zu suchen. Dies alles mit Hilfe von Experimenten zur Wiederbegrünung, Kooperationen, weiteren Universitäts-Projekten und kulturellen Angeboten zum Austausch und für einen neuen Umgang mit dem öffentlichen Raum.

Mit einer Methodik kurzer und flexibler Phasen, die sich auf spezifische Aspekte des öffentlichen Raums konzentrieren, wie Begrünung, Kultur oder Kommunikation, hat CASA Schützenplatz in 5 Jahren folgendes erreicht:
-Die Fläche ist von 25 m2 im Jahr 2016 auf 200 m2 im Jahr 2019 gewachsen.
– Es wurden 7 Bäume auf den Platz gebracht, die Schatten, Frische und Obst spenden.
– Es wurde ein Budget von etwa 5.000 Euro nur für Materialien verwendet (nur recycelt).
– Es etablierte sich eine regelmäßige Dynamik in der Nachbarschaft wie monatliche Brunches.
– Mehr als 30 m2 Grünflächen wurden angelegt.
-Soziale und öffentliche Einrichtungen wie eine Bühne, Infotafel, Hochbeeten, Bücherregal, Fahrradständer, etc. wurden gebaut.

In diesem Prozess wurde die Gemeinschaft gestärkt und als wichtiger Akteur im Entscheidungsprozess über die Zukunft des Platzes etabliert: Die Planungsanpassung weg vom Kreisverkehr hin zu einem Platz wurde erreicht und weitere multimodale Elemente wurden in die endgültige Gestaltung des Platzes aufgenommen: Fahrradständer, Motorradbereich, ein Brunnen, Austausch von Leuchten, Verlegung von Bänken, Fußgängerüberwege.

Nach bereits 5 Jahren (ehrenamtlicher) Tätigkeiten, mehreren Phasen der Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren und 200 m2 wiedergewonnenen öffentlichen Raums scheint sich der Kreislauf zu schließen. Anfang 2021 begannen die für die Neugestaltung des Platzes notwendigen Kanalarbeiten, so dass ein genauerer Termin für die Fertigstellung eines menschlicheren Schützenplatzes festgelegt wurde.

Das temporäre Projekt auf dem Platz wird voraussichtlich im Oktober 2022 abgeschlossen sein. Der Wert dieses Projekts liegt in der Aktivierung einer Gemeinschaft und dem Prozess der Aneignung eines bisher nicht ausreichend genutzten Platzes. Dies erhöht die Chancen, dass die Nachbar*innen den neuen Platz nachhaltig als Erweiterung ihres Wohnraums nutzen werden.

Ob der temporäre Aspekt des Platzes und die Aneignung der letzten fünf Jahre mit dem Entstehen des „Stadtplatzes“ abnehmen oder sich verstärken werden, wird sich bei diesem Projekt erst in der Zukunft erweisen. Der Platz wurde vom Auto befreit. Aber wurde er an die Nachbar*innen weitergegeben?

 

Casa Schützenplatz Toolkit:

Das Team hinter der Casa Schützenplatz hat ein Manual entwickelt wie sich Parklets inklusiv mit der Nachbarschaft gestalten lassen. Du kannst es unter der Rubrik Werkzeuge runterladen, oder du klickst einfach hier.